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Kintsugi – 金継ぎ

Ich liebe Mosaike. Mehr noch die einzelnen zerbrochenen Fliesenteile, anstelle der ganzen Bilder, die man daraus machen kann, so wie es Gaudi in Barcelona tat. Aus Italien habe ich Hunderte kleine bunte Mosaikfliesen, die ich am Strand gefunden habe (die Italiener werfen abgeschlagene und alte Fliesen einfach ins Meer und diese werden irgendwann wieder an Land gespült).

Immer wieder habe ich mir vorgenommen, dass ich irgendwann etwas Schönes daraus mache. Sie zu was auch immer neu zusammensetzen werde. Aber ich finde jedes einzelne Fliesenstück mit der jeweiligen Eigenart so schön, dass ich bis heute nichts daraus gemacht habe. Denn jedes einzelne Fliesenstück erzählt eine eigene Geschichte. Vielleicht war es Teil eines Bades oder einer Küche? Oder Teil eines Fußbodens in einem Geschäft oder in einer Privatwohnung. Die einen Fliesenstücke wurden geliebt und gepflegt, die anderen nicht gemocht – gar gehasst, weil sie so hässlich waren. Was alle gemeinsam haben, sie waren einmal ein Teil von etwas Ganzem. Sie gehörten dazu! Machten das Gesamtbild komplett.

Ich gehörte auch einmal dazu. Wozu auch immer.  Rückblickend verändert sich die Wahrnehmung. Und so weiß ich heute nicht mehr, wovon ich Teil des Ganzen war. Zudem wurde über Jahre mein Leben immer wieder in verschiedene Einzelteile zerlegt. Der ständige Versuch daraus wieder ein einigermaßen ansehnliches neues, meinetwegen auch anderes Mosaik zu basteln, erweist sich bis heute als eher schwierig. Irgendwo bricht wieder eine Ecke ab oder es entsteht ein Riss. Es hakt hier und da. Nichts will so richtig zusammenpassen. Schief und krumm stehe ich da und kann mit mir nicht wirklich etwas anfangen. Stehe vor dem Spiegel und frage die Person darin: Wer bist Du? So alt, schief und krumm, wie Du dastehst.

Als ich mal wieder ins Tal der Jammerei und Schwarzmalerei abdriftete, meinte eine Künstlerfreundin, bei der ich mich ausheulte, zu mir: Ach Petra, wenn eine Schüssel viele Risse hat und Du bist für mich eine angeschlagene und gebrauchte Schüssel mit viel Patina, dann kommt da auch sehr viel Licht hindurch. Du strahlst von innen durch diese Risse nach draußen. Aber auch das Licht von außen kommt in die Schüssel hinein, also zu Dir. So bist Du umgeben von Licht und Luft. Wenn ich an ihre Worte denke und über das Beispiel mit der ollen Schüssel hinwegsehe, dann wird mir immer ganz warm ums Herz und ich strahle durch meine Risse hindurch. Zumal die gleiche Person vor über 20 Jahren zu mir wütend sagte: Dein innerer Diamant ist mit so viel Müll zugeschüttet, den musst Du erst einmal wieder freischaufeln. Wie soll er mit so viel Müll um sich herum leuchten?

In der letzten Woche hatte ich echtes Glück. Auseinandergefallen in alle möglichen Einzelteile, wie ich wieder einmal war und Mitten auf meinem selbst verursachten Schlachtfeld schlechter Gefühle, stieß ich auf das wunderbare japanische Handwerk Kintsugi (???: mit Gold und Silber reparieren).

Kintsugi ist eine sehr alte handwerkliche Tradition aus dem 16. Jahrhundert, welche zerbrochene Keramik mit Gold oder Silber repariert. Während der  Zeit der japanischen Wabi-Sabi-Ästhetik der Schönen und Reichen, die ihren Reichtum durch eine besondere Ästhetik darstellen wollte, entwickelte sich durch den Zen Buddhismus die Einfachheit und die Wertschätzung der Fehlerhaftigkeit: Kintsugi – die Goldverbindung, die den Makel hervorhebt. Das Besondere daran ist, dass die offensichtlichen Makel der Reparatur nicht verborgen bleiben, sondern die Bruchstellen oder Risse durch die Verwendung von Gold- oder Silberpigmenten in den Vordergrund gestellt werden. Somit entsteht eine neue Schönheit und Wertschätzung des ursprünglichen Objekts.

In den eher wenig guten Momenten meiner schlechten Phasen sage ich mir: Ja, ich bin eine olle geflickte Kintsugi Schüssel. Und es waren und sind sehr viele Gold- und Silber-Reparaturen nötig. Ein paar Rissen sind auch wirklich nicht mehr reparabel. Aber durch diese scheine ich von innen nach außen.

Wenn’s ganz schlecht läuft, hat wenigstens das Licht die Möglichkeit, mich zu finden.

Ausgerechnet Zoé

In  dem Kinofilm „Ausgerechnet Zoé“, der in den 90ern in den Kinos lief, geht es um die 22 Jahre alte Zoé, die sich bei einem One-Night-Stand mit ihrem Exfreund mit HIV angesteckt hatte. Den gesamten Film bekomme ich nach all den Jahren nicht mehr zusammen. Jedoch ist mir bis heute die Freundin Pat der Hauptfigur Zoé in Erinnerung geblieben, da sie ungemein anstrengend war.

Stellvertretend für Zoé jammert sie ständig rum: Warum ausgerechnet Zoé? Noch so jung und gesund und überhaupt. Pat ging mir furchtbar auf die Nerven, denn Zoé hatte nach dieser Diagnose ihr Schicksal extrem gut und vor allen Dingen sehr ehrlich gemeistert. Was jammerte Pat da überhaupt so blöd rum? Ihr Leben war völlig in Ordnung. Sie hatte doch noch ihre Zukunft vor sich.

Ich mag diese Pseudobetroffenheit nicht. Damit stellen sich diese Menschen über den anderen. Und was nutzt es dem Betroffenen? Das Verhalten ist überhaupt nicht zu gebrauchen. Es macht nur noch mehr Drama zudem, was man selbst schon zu bewältigen hat. In meiner Vergangenheit habe ich mich bei diesen Menschen immer gefragt: Um wen gehts hier eigentlich? Um mich bestimmt nicht! Denn: Hallo! Dir gehts super! Ich halte die Arschkarte in der Hand! Also Pat jammert in dem Film bis fast zum Schluss weiter rum und geht dann ein letztes Mal unachtsam über die Straße. Völlig unaufgeregt wird sie von einem Auto überfahren. So banal kann das Leben sein: Pat ist tot und Zoé geht auf ihre Beerdigung anstelle umgekehrt.

Der Film fiel mir letzte Woche wieder ein und hängt mir bis heute nach. Was wollte der Film uns Zuschauern eigentlich sagen?  Was sagt uns das Leben?

Es gab noch eine übrig gebliebene Freundin aus der Hamburger Zeit. Wir telefonierten alle paar Wochen miteinander. Sie hatte alles, was ich in meinem Leben bis heute nicht erreichen konnte: Sie war rundum zufrieden bis fast glücklich damit. Einfach nur über Gott und die Welt quatschen ging allerdings seit meiner Gehirntumor-Diagnose mit ihr nicht mehr. Der Spaß war seitdem vorbei! Sie bekam so etwas Nerviges von dieser Pat und war seitdem nicht nur sehr betroffen, wenn wir telefonierten, sondern gab mir ständig unaufgefordert Tipps. Sie wusste alles: Wie ich mich ernähren musste. Was der richtige Schlafrhythmus ist. Welchen Sport ich machen sollte und warum Vitamin D so unglaublich schlecht für mich sei!
Mit der Schulmedizin stand sie auch immer wieder auf Kriegsfuß, was ständig zur Diskussion stand. Ihre Eltern waren beide Heilpraktiker und hielten überhaupt nichts von der Schul-/Gerätemedizin, die nur symptomatisch behandelt und nicht ganzheitlich! Ich mochte sie wirklich von Herzen gerne, aber in dieser Situation war sie wenig hilfreich. Der Grund, warum ich während meiner Katastrophenjahre die Telefonate reduzierte.

Als dann im Frühjahr 2018 die Diagnose Brustkrebs kam und im Sommer die Chemo folgte, unterbrach ich den Kontakt für die gesamte Zeit. Ich wollte mir eine Diskussion über die Chemo einfach ersparen. Deshalb dachte ich mir überhaupt nichts dabei, dass ich lange nichts mehr von ihr hörte. Letzte Woche rief ich sie an. Ihr Mann ging ans Telefon. Er teilte mir in wenigen Worten mit, sie sei nach kurzer heftiger Krankheit am 11.11.2019 verstorben. Diese Information hat mich geschockt. Nicht sie: eine Person, die ein gutes und gesundes Leben hatte. Eine kostbare Seltenheit heute. Ihr Leben war in meinen Augen mehr als perfekt: Es war schön! Wie konnte so etwas passieren? Sie gehörte für mich zu den Hoffnungsträgerinnen, wohin ich schaute, wenn ich mal wieder so richtig an die eigenen Grenzen kam: Schau Petra, so kann es auch sein, das Leben!

Unser Schicksal ist machmal völlig verdreht. Es gibt Menschen, die wirklich heftige Diagnosen zu bewältigen haben und jeden Tag, jede Stunde und Minute für ein wenig mehr Zeit auf dieser Erde kämpfen. Und dann gibt es die Menschen, bei denen man denkt, die haben die Zeit, das Leben, die Liebe, das Glück und die Gesundheit für sich gepachtet und die sind dann plötzlich nicht mehr da! Einfach gestorben! Aus meinem Blickwinkel heraus hatte sie noch wesentlich mehr Zeit auf dieser Erde vor sich als ich. Das Leben hatte jedoch etwas anderes mit uns vor.

Brüste, Melonen, Möpse

Fast alle Männer träumen davon. Frauen wollen sie in der Regel haben. Werbeplakate und -spots sind voll damit: perfekte Brüste! Große, knackige, runde, pralle, kleine, falsche. Hauptsache: PERFEKT! Was auch immer das heißen mag.

Wir Frauen sind viel zu selten glücklich, mit dem was wir haben. Zu klein sind sie, zu groß, zu hängend. Der Garten von nebenan ist immer etwas grüner: haben wir bereits die perfekten Brüste, gibt es mit absoluter Sicherheit eine Frau, die schönere hat. Und wenn halt nicht im Gesamtbild, dann zerlegt in kleinteilige Nuancen: die andere hat eine schönere Hautfarbe, etwas bessere Rundungen, die ideale Größe (obwohl gleich groß, wie die eigenen). Es gibt kilometerlange Gründe, um sich herunterzuziehen.

Kein Mann dieser Welt würde sich derart selbst infrage stellen.

Ich konnte bis zu meiner Mastektomie (Brustamputation) im letzten Jahr mein eigenes Brustthema nicht mit buddhistischer Gelassenheit begegnen. Ich mochte meine Brüste einfach nicht. Sie waren sowohl für meinen Körper (TWIGGY) als auch für meinen Bewegungsdrang zu groß. Ich habe bis heute meinen Basketballtrainer (Franzose) aus der Jugendzeit im Ohr: „Petra, laufen, laufen und jetzt springen und setz den Ball in den Korb!“ (dabei muss man sich seinen charmanten französischen Akzent vorstellen: schneller, schneller und hoch jetzt!). Fröhliches Gegröle bei den Jungs. Niemand interessierte sich dafür, dass ich den Ball versenkt hatte.

Da Twiggy immer noch die Modewelt bestimmte, gab es während meiner Jugend oder später für mich als junge Frau nur schreckliche Oma-Panzer (die man auch noch umnähen und anpassen musste) anstelle von sexy oder sportliche BH’s für meine Figur. Kleider gingen gar nicht, weil oben zu eng und unten zu weit. In den 80ern hatte ich für sehr sehr lange Zeit den Spitznamen Pam (Die Figur Pamela Ewing aus der amerikanischen Serie Dallas). Und sie trug meistens das, was ich absolut hasste: (zum Beispiel) engen Pulli zu engen Jeans. Mit den 80ern kamen auch die schrecklichen Schulterpolster. Aber war das wirklich von Vorteil? Auch damit machte ich mich zum Affen.

Als mir mein Arzt letztes Jahr vorschlug, eine beidseitige Mastektomie vorzunehmen, konnte ich nur freudig zustimmen und haben zusätzlich hart dafür gekämpft zwei Körbchengrößen kleiner zu bekommen. Es hätten auch drei oder vier sein können. Aber darauf ließ er sich nicht ein. Mir hatte die Diagnose Brustkrebs somit auch ein großes Lebensgeschenk gemacht: Freiheit.

Ich fühle mich endlich wohl mit meinen Brüsten! Später in der Onkologie stellte ich fest, dass ich ziemlich alleine mit meinem Wohlbefinden dastand, die mir die neuen Brüste (eine neue Freiheit) bescherten. Viele Frauen haben komplizierte OP’s über sich ergehen lassen, damit die Brust erhalten bleibt. Sie kämpften regelrecht, um den Erhalt ihrer Brust. Der Garten der anderen war plötzlich nicht mehr grüner, sondern der eigene Garten wunderschön. Und der sollte plötzlich rüde zerstört oder gar beseitigt werden.

Liebe Frauen, unsere Brüste sind alle wunderschön: die großen, die kleinen, die prallen, die nicht mehr vorhandenen, die operierten, die alternden, die jungen, die hängenden. Mit großen, kleinen, dicken und fast nicht sichtbaren Narben.

Ich habe mir 40 Jahre lang das Leben mit meinen Brüsten zur Hölle gemacht. Okay, mir ist meine Entscheidung, sie zu entfernen nicht schwergefallen. Damit hatte ich gegenüber sehr vielen Frauen einen ganz klaren Vorteil. Aber HALLO! 40 Jahre für nichts! Weil die Natur mit mir etwas anderes vorhatte, als meinem Selbstbild zu entsprechen. Und jetzt, kein ABER …. WIR SIND SCHÖN! WEIL WIR, WIR SIND! JEDE IST FÜR SICH EINZIGARTIG. Uns gibt es nur in dieser einen Version auf der Welt.

Wenn wir uns nicht mit dem Herzen sehen und uns von Äußerlichkeiten, von Werbeplakaten, anderen Frauen, oberflächlichen oder sexistischen Männern beeindrucken lassen, dann verleugnen wir uns selbst. Das ist doch sehr schade. Denn das verstellt uns den Blick. Wir sehen dann nur das Schlechte, dass was uns genommen wurde und nicht das Geschenk, welches wir erhalten haben: gewonnene Lebenszeit!

Vielleicht sind wir nicht mehr ganz so perfekt wie vorher. Aber dafür vielleicht besser oder einfach nur anders schön. Gestern habe ich mit einem Floristen über meine Bertha (eine Kaktee, die sehr krumm wächst) gesprochen. Ich wollte, dass sie wieder gerade wird. Er meinte: „Warum? Die Natur hat etwas anderes mit ihr vor. Ist doch schön! Sie wächst, wie sie will.“ Ja, jetzt, wo ich Bertha mit seinen Augen sehe. Ja, meine Bertha ist etwas ganz besonderes.

Haare sind für die Buddhisten ein Ausdruck der Schönheit und der Eitelkeit der Menschen im weltlichen Leben. Mit ihren kahl rasierten Köpfen zeigen die Nonnen und Mönche, dass sie keinen Wert mehr auf weltliche Dinge legen. Sie kehren dieser Welt den Rücken und widmen sich ganz ihren Glauben. Eine durch und durch freiwillige Entscheidung!

Erhält man die Diagnose Krebs und entscheidet sich für den Therapievorschlag Chemo, so sieht das mit der Entscheidungsfreiheit nicht mehr dolle aus. Klar gibt es auch Chemos ohne Haarausfall oder diese Kühlhauben. Die meisten verlieren ihre Haare jedoch völlig unfreiwillig.

Als ich die Diagnose Krebs erhalten habe, schwor ich mir, egal was mir diese mutierten Zellen nehmen werden, meine Würde bekommen sie nicht.

Ich gehörte zu den Chemo Patientinnen ohne Kühlhaube oder Perücke und mit Glatze nach der dritten Chemo. Mit bunten und auffälligen Tüchern aus dem Second Hand Laden bin ich dadurch gegangen: wenn schon keine Haare, dann bunte Tücher in einer extravaganten Verknotung, so mein persönliches Motto.

Bei einer meiner Untersuchungen verrutschte mein Tuch. Ich war genervt und wollte es nicht wieder neu binden und überhaupt ging mir an diesem Tag alles auf die Nerven. Da meinte meine Ärztin: gehen Sie doch einfach so, oben ohne! Steht Ihnen übrigens ausgezeichnet. Ich tat es tatsächlich. Erhobenen Hauptes trat ich aus der Praxis und nicht auf dem Boden blickend ging ich heim. Ich fühlte mich dabei nackter, als wenn ich mit freiem Oberkörper durch die Straßen gegangen wäre.

Bildete ich mir das ein (also ist es mein Ding) oder gibt es wirklich diese Blicke: der scheue Schrecken, das schnelle zur Seite schauen, die versuchte Ignoranz, die gerne als Toleranz bezeichnet wird. Trotz eingebildeter oder auch nicht eingebildeter Blicke ging ich unerschütterlich weiter nach Hause und mein Kopf saß fest und erhaben auf meinem lang gestreckten Hals. Ich fühlte die Würde in mir. Das gab mir unglaublich viel Kraft: keine dummen, respektlosen und gefräßigen Zellen finden in meinem Körper oder in meiner Seele eine Heimat. Die sollen sich alle andere Opfer suchen. Dafür stehe ich nicht mehr zur Verfügung! Basta!

An meiner Hausecke sprach mich der Italiener an und sagte völlig entsetzt: „Hey Petra, so heiß ist es nun auch nicht. Warum hast Du Dir alle Haare abrasiert? Du bist doch kein Mann!!“ Ich hätte ihn für diese Aussage küssen und in den Arm nehmen können. Denn der Krebs hatte genau in diesem Moment verloren: Ich war sichtbar! Nicht der Krebs. Mit oder ohne Haare: ich war ich und wurde nicht auf eine Krebspatientin reduziert.

Jetzt, ein Jahr später, es ist wieder Sommer und ich kann behaupten: oben ohne kann irre schön sein, denn ich habe mich total in einem Smart Cabrio verliebt. Es ist einfach nur wunderbar, wenn ich in diesem Auto sitze, die Sonne scheint und ich offen damit zum Freibad fahre. Letztens fand ich das Gefühl so toll, dass ich, als ich wieder zu Hause vor der Tür stand, erneut das Gaspedal betätigte und die Runde mit meinem offenen Auto einfach noch einmal gedreht habe. Ein Knopfdruck kann so glücklich machen: Verdeck auf und wieder zu und wieder auf. Ich liebe diesen Knopf in meinem Auto.

Patientenverfügung: Ein Austausch mit Nina Hagen.

Erst vor meiner 2. Gehirn-OP im Jahr 2011 hatte ich an eine rechtlich abgesicherten Patientenverfügung gedacht. Ich wollte endlich selbst bestimmen und die Verantwortung nicht mehr anderen überlassen.

Denn als ich in der Nacht am 21. September 09 mit 44 Jahren über die Notaufnahme eines normalen Hamburger Krankenhauses ohne Untersuchung auf direktem Weg in der Psychiatrie landete, kam mir die Möglichkeit einer rechtlichen Absicherung gar nicht in den Sinn. Jedoch glaubte mir mit dem fetten Stempel Psycho auf meiner Stirn von diesem Tag an niemand mehr. Es ging zeitweise so weit, dass ich kurz vor einer Entmündigung stand, weil ich die vielen Psychopharmaka verweigerte. Und nur durch einen Zufall und eines Arztes, der mich auf mein Gangbild aufmerksam gemacht hatte, entdeckte man drei Jahre später den Gehirntumor am Stammhirn, die Ursache für all meiner Symptome. Heute wäre ich tot, wenn ich nicht völlig zufällig vor diesem Arzt hergelaufen wäre.

Vor der ersten Gehirn-OP hatte ich schnell eine Standard-Patientenverfügung aus dem Internet erstellt, die rechtlich gar nichts absicherte, weil zu allgemein. Während der Zeit auf der Intensivstation, an einem Beatmungsgerät hängend, mit einem Körper, der nichts mehr konnte, entschieden deshalb über Wochen andere für mich.

Wenn es richtig schlecht gelaufen wäre, hätten die Ärzte mich in ein Pflegeheim – in eine sogenannte Beatmung-WG verlegen müssen.

In den Jahren 2013 und 2014 leitete ich gegen die Psychiatrie rechtliche Schritte ein.
Ohne Erfolg. Seit dieser Zeit verfolge ich mit großem Interesse die Tätigkeit der Musikerin Nina Hagen, die sich als Schirmherrin von Patverfü.de mit den Worten „Für die Freiheit gegen Zwang“ in den Psychiatrien engagiert.

Zu ihrer Aussage möchte ich hinzufügen:

Behaltet Eure Rechte, wenn Ihr für Euch selbst nicht mehr eintreten könnt und andere die Verantwortung übernehmen müssen.

Im September 2020 hatte ich Nina Hagen angeschrieben.

In der Korrespondenz mit Nina Hagen erfährt man, wie wichtig es ist, als Patient seine Rechte zu behalten und wie eine Patientenverfügung dabei helfen kann.

Liebe Nina Hagen, seit 2014 verfolge ich Ihre ehrenamtliche Tätigkeit bezüglich der ungerechtfertigten Vorgehensweisen in Psychiatrien. Damals hatte ich versucht gegen eine Psychiatrie zu klagen und aufgegeben.

Liebe Petra, als Schirmfrau der www.PatVerfü.de weiß ich inzwischen sehr wohl, dass das, was Dir widerfahren ist, nur möglich war, wenn man vorher keine PatVerfü gemacht hat, und es ist leider die Regel.

Bevor Dir so was noch mal passieren könnte, empfehle ich Dir, Dich mit so einer speziellen Patientenverfügung mit eingebauter Vorsorgevollmacht zu schützen, siehe hier: mit allen Hinweisen, Formularen und Handbuch: https://www.patverfue.de Ich bin die Schirmfrau und habe eine ausführliche Erklärung dazu verfasst: https://www.patverfue.de/nina-hagen-ueber-die-patverfue

Du schreibst: „Man verschaffte mich ohne physische Untersuchung und ohne Kopf MRT über die Notaufnahme auf dem direkten Weg in die Psychiatrie. Den Grund für meine körperlichen und seelischen Symptome war jedoch ein übergroßer Gehirntumor am Stammhirn, der erst im Mai 2011 entdeckt wurde.“

Du schreibst: „Diese Anwälte sitzen das einfach aus, solange bis einem die Kraft für einen Kampf und das Geld dafür fehlen.“

 N.H.: Das ist ganz typisch, weil dadurch, dass du keine PatVerfü hattest, sie die Einweisung auch durch einen richterlichen Beschluss einsegnen lassen können, und dann hast du rechtlich so gut wie keine Chance mehr, weil dann nur noch medizinische Argumente gelten. Die Richter machen es sich einfach und sagen:

„Ich hab keine Ahnung, also folge ich dem, was die gutachtende Ärzte sagen.“

Du schreibst: Bei dem Versuch gegen die Psychiatrie zu klagen, hat mir die Deutsche Hirntumorhilfe erzählt, dass Menschen, mit unentdeckten Tumoren häufig in der Psychiatrie landen, weil sich Neurologen und Psychiater mit Hirntumoren nicht auskennen. Sie stützen sich ausschließlich auf die psychischen Symptome und so geht es dann oft ohne Kopf-MRT ab in die Psychiatrie. Hat man erst einmal den Stempel Psycho interessiert sich auch danach niemand mehr für physische Symptome. Eben!

N.H.: Hätten sie eine PatVerfü, ginge das nicht mehr – deshalb vielleicht der Hirntumorhilfe mal einen Hinweis auf die PatVerfü geben? Solange nur neurologische Ärzte behandeln, geht alles nur mit der Zustimmung der Patientin. Nur Psychiater sind gewohnt, Zwang anzuwenden.

Du schreibst: „Hätte ich auf die Ärzte in der Psychiatrie gehört, mich auf deren Tabletten-Therapien eingelassen, wäre ich heute tot. Ein trauriger und elendiger Tod.“

N.H.: Eben, besser mit einer PatVerfü vorsorgen!

Sei lieb ganz doll lieb gedrückt von Nina Hagen

Informationen
patVerfü.de  

8 1/2 Wochen | Psychiatrie

In der Nacht vom 20.09.2009 auf den 21.09.2009 landete ich mit extremen körperlichen Beschwerden in der Notaufnahme eines Hamburger Krankenhauses. Von dort aus wurde ich ohne physische Untersuchung auf direktem Weg in die Psychiatrie des Krankenhauses geschickt.

Zwei oder drei Tage später auf der Akutstation der Psychiatrie wurde ich dem Oberarzt vorgestellt, der den weiteren Weg für mich festlegen sollte. Bis dahin gab man mir starke Psychopharmaka (Diese Abteilung ist dafür bekannt, dass sie zu viele Psychopharmaka verteilt. Eine Patientin meinte mal böse im Raucherzimmer: Tavor verteilen die hier wie Smarties, Patienten fangen hier an zu rauchen, aber Alkohol zur Beruhigung ist für die Ärzte Sucht! Wie verlogen ist das denn?), sodass ich kaum aufrecht haltend auf dem Sitzplatz vor seinem Schreibtisch saß und seine Fragen mechanisch beantwortete. In kürzester Zeit und ohne physische Untersuchung diagnostizierte der Oberarzt eine Persönlichkeitsstörung und verlegte mich auf seine Station. Dort verbrachte ich 8 1/2 Wochen.

Es dauerte fast die Hälfte meines Aufenthalts auf dieser Station, bis ich für meine überaus aktive Bein-Motorik (die Beine krampften und zuckten unentwegt) einen akzeptablen Umgang damit und die Kraft gefunden hatte, mir zu überlegen: WAS MACH ICH JETZT? Zumal ich ja auch überhaupt nicht wusste, wohin und was jetzt. Mein Lebensplan lag in Scherben, meine Ehe war zu Ende (darauf ritten die Therapeuten immer sehr gerne herum). Zudem musste ich versuchen, dass der Aufenthalt nicht bekannt wurde, damit ich meiner Selbständigkeit weiter nachgehen und meine laufenden Projekte abschließen konnte (ich arbeitete in der Psychiatrie einfach heimlich weiter, teilte niemanden mit, wo ich war). Mein Entschluss, aus den Fängen der Psychiatrie zu kommen, also meine persönlich geplante Entlassung aus der Psychiatrie entpuppte sich als gar nicht leicht.

Ist man erst einmal auf Station übernehmen andere die Kontrolle über einen.

Denn ich war ja psychisch äußerst instabil und das wurde mir täglich in den Therapierunden erklärt. Für den Geschmack der Therapeuten hatte ich zu viel eigene Meinung, war Tablettenverweigerin und stellte mich quer bei den Therapien, stellte zu viele Fragen und kritisierte deren Vorgehensweise recht offen.

Irgendwann kam ich auf die Idee, vielleicht könnte man in einem allgemeinen Krankenhaus, in dem ich ja war, meinen körperlichen Beschwerden auf den Grund gehen und sprach bei einer der Ärztesprechstunden (die ein Mal in der Woche stattfanden) vor. Ich vergesse bis heute diesen arroganten Blick des Arztes nicht: „Ja Blut können wir Ihnen abnehmen, dazu haben wir aktuell jedoch keine Veranlassung. Wie kommen Sie auf ein Kopf-MRT? Weil meine Symptome auf MS oder gar Parkinson hinweisen! Und dann kamen im Von-Oben-herab-Blick gekoppelt mit einem Ton (der ansonsten von der Generation Großeltern für Kinder unter fünf angewendet wird, wenn sie etwas angestellt haben oder ein Wort verwenden, welches man nicht in den Mund nehmen darf) seine Worte: Meinen Sie wirklich, Sie können eine Diagnose stellen? Von diesem Moment an wusste ich, ich bin denen hier ausgeliefert. Von dieser Seite kann ich keine Hilfe erwarten. Denn die Ärzte und Therapeuten hatten ihr Urteilt über mich gefällt und wenn ich nicht mitmache, dann geht das hier für mich verdammt böse aus.

Von dem Tag an wurde ich zunehmend einsichtiger, beteiligte mich an den Therapien, erfand meine eigene Persönlichkeitsstörung und inszenierte meine Besserung davon. So nahm ich die Psychopharmaka jeden Abend entgegen und meinte, ich kann es ja mal versuchen (ich hatte das Glück, dass bei mir noch nicht kontrolliert wurde, ob ich sie auch schluckte, in diesem Stadium der Entmündigung war ich noch nicht angekommen) und warf sie anschließend ins Klo. Ich rollte während der konstruktiven Bewegungstherapie auf dem Bauch liegend über ein Kissen, anderen Patienten Murmel zu und sprach später in der Runde über meine Empfindungen und neuen Erfahren, die ich mir während des Murmelvorgangs ausgedacht hatte. Während der Musiktherapie schnappte ich mir jedes Mal die Rassel. Ich rasselte ab und an, klinkte mich während der gemeinsamen musikalischen Darbietung innerlich aus (denn wir alle hatten gar keine Instrumentenerfahrung oder eine Ausbildung darin) und sprach später darüber, wie viel Halt mir die Rassel gab. In der Morgenrunde sprach ich über meinen vergangenen Schlaf und abends über den bevorstehenden Schlaf. In der Gruppentherapie verhielt ich mich ruhig und in der Einzeltherapie kramte ich Geschichten aus meiner Kindheit hervor. Nachts riss ich mich zusammen und lief nicht mehr über die Flure. Ich ertrug meine Beine. In den wöchentlichen Abschlussgesprächen teilte ich der gesamten Therapeuten- und Ärztemannschaft mit, wie gut mir die Tabletten jetzt täten und wie viel ruhiger ich dadurch geworden bin und welche Fortschritte ich durch die Therapien machte.

Zudem zitierte ich meinen Mann zu einem gemeinsamen Gespräch mit dem Arzt, damit er aussagte, dass wir beide es noch einmal miteinander versuchen werden, also ich eine Zukunft in der Außenwelt haben werde. Mein schwarzer Humor ließ mich die vielen Krisen und Verzweiflungsanfälle überstehen. Ich war damals (bin es heute noch) fassungslos, dass es wirklich funktionierte. Ich wurde Mitte November mit den Worten entlassen, dass ich gute Fortschritte gemacht hätte und auf einem guten Weg wäre.

Und weil ich es nicht oft genug sagen kann, da sowas einfach nicht passieren darf:  Ich wurde, obwohl ich 8 1/2 Wochen in einem allgemeinen Krankenhaus (Abteilung: Psychiatrie) war, physisch zu keinem Zeitpunkt untersucht. Meine Bitte, das nachzuholen, wurde abgewiesen. Mir wurde eine völlig unnötige Therapie aufgezwungen und damit ich überhaupt wieder entlassen werden konnte, machte ich nach vier Wochen scheinbar mit. Was die Ärzte (Psychiater) und Therapeuten nicht merkten, sondern mich noch ermunterten, so weiterzumachen: Ich sei auf einem guten Weg! Hätte ich diesen Ärzten vertraut, dann wäre ich heute tot. Ich wäre als PSYCHO gestorben. Vielleicht wäre man irgendwann doch noch auf die Idee eines MRT’s gekommen. Vielleicht? Aber ich denke eher nicht, so wie man auf dieser Station mit Psychopharmaka vollgestopft wurde, hätte man weiterhin alle meine physischen Symptome auf meine Psyche oder auf die Medikamente geschoben.

Auch wenn ich gesagt hätte, ich nehme diese Pillen gar nicht, wer hätte mir denn geglaubt? Wer hätte auf meiner Bitte hin und für den Beweis dafür, einen Bluttest gemacht? Wer schießt sich denn selbst ins Knie?

Im Herbst 2013 musste ich Hartz 4 anmelden, weil durch die vielen Fehleinschätzungen der vielen Ärzte und der dadurch sehr späten Kopf OPs im Jahr 2011 mein Leben, meine mentalen und körperlichen Kräfte einfach nicht mehr vorhanden waren, um mir ein neues Leben aufzubauen. Mein persönliches und berufliches Leben hatte ich 2010 in Hamburg gelassen. Meine Rücklagen waren verbraucht. Meine kleinen Projekte deckten meine Kosten nicht. Im Jahr der Diagnose wurde der Oberarzt (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie), der mich auf seine Station für 8 1/2 aufgenommen hatte, mir eine physische Untersuchung verweigerte und eine Persönlichkeitsstörung diagnostizierte, Chefarzt der Psychiatrie und das ist er bis heute.

Als ich 2013 bis 2014 versuchte, gegen die Behandlung in der Psychiatrie rechtlich vorzugehen, bekam ich kein Recht. Die Gegenseite zerpflückte alles in Einzelteile und setzte darauf, wie irre ich doch war. Die fehlende physische Untersuchung wurde schlichtweg und permanent ignoriert. Diese Anwälte der Versicherungen der Krankenhäuser und Ärzte sitzen das einfach aus, solange bis einem die Kraft für einen Kampf und das Geld dafür fehlen. Zudem fehlte mir der emotionale Abstand, um besser mit den Argumenten der Gegenseite umgehen zu können. Ich streckte irgendwann die Flügel.

Wenn mein innerer Schutzengel, mit seinen vielen tollen und unermüdlichen Gefährten: Trotz, Sturheit, Willenskraft, Intelligenz, Widerspruch, Skepsis, Misstrauen und Mut mir nicht zur Seite gestanden hätten, wäre ich als Irre gestorben. Niemand hätte sich die Mühe gemacht, die Wahrheit herauszufinden. Niemand hatte mir bis 2011, bis zur Diagnose geglaubt. Die Liste dieser Ärzte, Heilpraktiker, Heiler, Osteopathen und Alternativ-Medizinern aller Art ist sehr lang. Mein Exmann, meine Freunde und Familie glaubten mir sowieso nicht.

Ich hatte PSYCHO fett auf der Stirn stehen.

Es war ja für alle auch so unglaublich einfach: Reiß Dich mal zusammen. Du immer! Du hast ja immer was! Man muss auch wollen! Nimm endlich die Tabletten! Sicherlich waren Familie und Freunde nach der Diagnose Gehirntumor am Stammhirn etwas verhalten, aber dann schoss man sich darauf ein:

Woher hätten wir das denn wissen sollen? Die Ärzte haben Mist gebaut!

Aber auch wenn jemand Psycho ist, ist er doch immer noch ein Mensch, dem man respektvoll und menschlich begegnen kann. Hinter jedem Psycho steckt ein Mensch, wenn er könnte, würde er ganz bestimmt anders sein. Wenn er könnte!
Ich bekam im Jahr 2011 drei Entschuldigungen von drei Menschen, die alles richtig gemacht haben. Und das bedeutet mir bis heute unglaublich viel. Denn kein Geld der Welt kann die eigene innere Welt und die eigene Würde nach so einem Drama wieder heil machen, aber ein > Tut mir ehrlich leid < oder eine aufrichtige Entschuldigung können das. Denn dann weiß man, dass man richtig ist und spürt, der andere kann das große Leid sehen, was einem widerfahren ist. Er nimmt Anteil an diesem Leid.

In der Uniklinik Düsseldorf wurde ich wegen meiner körperlichen Beschwerden (in der Notaufnahme) auf Endstadium MS untersucht. Als der junge Arzt mir die Diagnose Gehirntumor (der Tumor am Stammhirn war gutartig und saß dort schon fast 12 Jahre, so deren Einschätzung) mitteilte, fragte er mich: Niemand hat bei Ihnen ein MRT in Erwägung gezogen, bei Ihren Symptomen? Ich verneinte. Er holte tief Luft, ließ sie langsam raus und sagte: Ich möchte mich in aller Form für meine Kollegen bei Ihnen entschuldigen. Das Gleiche haben meine beiden Operateure auf der Neurochirurgie gemacht. Sie entschuldigten sich für ihre Kollegen bei mir.

Dr. Chaddeh hatte es mit seinen Worten, bei unserer ersten Begegnung auf den Punkt gebracht. Er meinte damals, als er mich nach nicht einmal 10 Minuten auf direktem Weg mit einem Taxi in die Notaufnahme der Uniklinik schicken wollte, auf meinen Ausruf  > Wieso das denn jetzt? Ich bin eine Irre! <

„Frau Bach, man kann Läuse und Flöhe gleichzeitig haben, aber ich bin mir sicher. Sie haben nur Flöhe!“

Brust-Tattoo nach Brustkrebs: Ein Gespräch mit Andy Engel.

Andy Engel ist nicht nur in Deutschland (er wohnt und arbeitet in einem kleinen Ort in der Nähe von Würzburg) sehr gefragt, sondern wird von den besten und bekanntesten Tattoo Studios und Conventions, unter anderem in den USA, Spanien, England, Italien, Australien, China, Indien regelmäßig gebucht. Wenn jemand ein Tattoo von ihm persönlich gestochen haben möchte, muss sie/er bis zu 8 Jahre warten. Neben der Arbeit als Tätowierer gibt er Seminare und setzt sich für allgemeingültige Hygieneregelungen in Tattoo-Studios ein. Damit wäre für die meisten Menschen der Tag mehr als gefüllt, aber er findet noch Zeit für seine Leidenschaft als Schlagzeuger und spielt in einer Band. 2013 ging er mit seiner eigenen kleinen und selbstgefertigten Schmuckkollektion an den Start, die er selbst als Herzensangelegenheit bezeichnet und an die präzise Arbeit seines Vaters als Schmiedemeister erinnert. Der Vater von drei Kindern sei ein Familienmensch, sagt er von sich selbst. 

Wie kam es dazu, dass du dich neben deinem ausgefüllten Leben für Frauen nach einer Brustkrebserkrankung für eine Brustwarzenrekonstruktion engagierst und ihnen dadurch ein Stück verloren gegangenes Selbstvertrauen zurückgibst?

AE
Vor 13 Jahren kam eine Stammkundin, die den Brustkrebs hinter sich gebracht hatte und dabei ihre Brustwarze verlor, zu mir. Sie meinte, tätowiere mir eine neue Brustwarze. Zuerst habe ich mich gar nicht daran getraut. Die Haut hatte sich durch die OP, durch die Narben und Bestrahlungen sehr verändert. Ich wusste ja auch nicht, wie die angegriffene Haut auf eine Tätowierung, also auf die vielen kleinen Nadelstiche und Farben reagiert. Hinzu kommt, dass man die Narben berücksichtigen muss und wenn es nur eine Brustwarze ist, sie zu der anderen passt. All das musste ich bei meiner Arbeit in Betracht ziehen. Es ist etwas völlig anderes in eine gesunde Haut, ein Tattoo zu stechen. Aber wir beide sind es angegangen und sie war von dem Ergebnis so begeistert, dass sie damit zum Bayerischen Rundfunk gegangen ist und denen das Ergebnis präsentierte und meinte, das hat Andy Engel für mich getan. So begann alles.

Trotzdem hättest du sagen können, das Krebsthema passt nicht in dein Leben und warum sich damit belasten? Das war eine einmalige Sache; ich freue mich darüber, dass meine Kundin glücklich ist. Du bist jedoch einen anderen Weg gegangen. Warum?

AE
In meiner Vergangenheit habe ich bei Freunden und in der Familie einige Krebserkrankungen und Leidenswege miterlebt. Mit diesem Brustwarzen-Tattoo konnte ich einen Menschen wieder glücklich machen. Das hat mich sehr berührt. Auch das Vertrauen der Kundin mir gegenüber. Der Moment, in der eine Frau nach einer Brust OP die Bluse hochzieht, ist kein einfacher Moment für sie, aber ich erhalte ihr Vertrauen.

Durch die Aktion meiner Stammkundin bin ich mit Dr. med. Andreas Cramer – er arbeitet als Oberarzt in der Missioklinik in Würzburg – in Kontakt gekommen und habe dabei erfahren, wie wichtig eine schöne Brust für die Genesung nach solch einer Erkrankung ist. Obwohl seitens der Schulmedizin bereits viel passiert, damit sich die Frauen nach einer Brust OP und dem Krebstrauma wieder gut fühlen, haben sich Brustzentren, Kliniken und Ärzte mit fotorealistische Brustwarzen in 3 D noch nicht wirklich beschäftigt. Dr. Cramer hatte mich gefragt, ob ich dazu einen Vortrag an seiner Klinik halten würde. Und das tat ich dann auch. Daraus folgten weitere Gespräche mit anderen Ärzten und Klinken. So entstand von Mal zu Mal ein starkes Netzwerk. 2008 rief ich dann medbwk Brustwarzenrekonstruktion ins Leben.

Was ist besonders an medbwk?

AE
In den letzten Jahren hat sich das Netzwerk medbwk zu einer GmbH und Co KG entwickelt. Es kamen weitere Partner und Mitstreiter dazu. Zudem habe ich immer wieder Vorträge in Kliniken gehalten. Gemeinsam haben wir uns tiefer in das Thema hineingearbeitet – ich dadurch medizinisches Fachwissen erhalten. Heute ist medbwk eine fachlich kompetente und seriöse Anlaufstelle für Frauen, mit dem Wunsch nach einer Brustwarzenrekonstruktion. Da ich nicht selbst alle Brustwarzen stechen kann, haben wir über Schulungen Tätowierer in ganz Deutschland ausgebildet. Somit gibt es mittlerweile viele medbwk zertifizierte Studios, die nach den hohen Standards von medbwk eine Rekonstruktion für betroffene Frauen anbieten und ausführen können. In meinem Studio sind wir mit Lisa Smith und Maria Böhm mittlerweile zu dritt.

Gerade Frauen werden sich vor der Entscheidung für ein Tattoo nach ihrer Krebserkrankung viele Gedanken machen. Wie nimmst du ihnen beispielsweise ihre Sorgen in Bezug Verwendung der Farben, oder ob ihre Brust nach Operationen und einer möglichen Bestrahlung überhaupt für ein Tattoo geeignet ist und wie steht es um das Thema Hygiene?

AE
Ja, Hygiene ist den meisten Frauen sehr wichtig. Deshalb haben die Tätowierer von medbwk für jede Frau ein Package, in dem nur ihre Utensilien, sowie ihre Farben enthalten sind, die auch nur für sie verwendet werden. Wenn nach einigen Monaten noch einmal nachgestochen werden muss, liegen uns alle Unterlagen vor und es wird dafür auch wieder ein neues Package verwendet. Damit erreichen wir, neben allen anderen hygienischen Maßnahmen, einen höchstmöglichen Standard. Um weitere Hautirritationen zu verhindern, die oftmals durch die OPs und Therapien hervorgerufen wurden, benutzen wir eigene zertifizierte Farben. Alle unsere Tätowierer arbeiten nur mit hochwertigem Equipment.

Jede Brust hat anderes durchgemacht. Es sind Narben, die berücksichtigt werden müssen, eine bestrahlte Haut, Implantate und und und. Ich weiß, dass es auf jeden kleinsten Punkt ankommt, den ich mit der Farbe setze. Durch die Erfahrungen und Kommunikation mit den Kundinnen erzielen die zertifizierten Tätowierer und ich die bestmöglichen Ergebnisse. Unser Ziel ist, die verloren gegangene Lebensqualität so weit es geht, wieder zurückzugeben.

Im Laufe der Zeit wurden uns von den Frauen sehr viele Fragen gestellt, zum Beispiel: Darf ich mir mit einem Implantat die Brust tätowieren lassen? Was sind die Risiken? Darf man Narben tätowieren? Wie lange hält ein Tattoo? Darf ich damit in die Sonne? Wir haben sie gesammelt und auf die wichtigsten Fragen geben wir in Zusammenarbeit mit den Medizinern und unserem Team Antworten, die man auf der Website https://medbwk.de nachlesen kann.

Nicht alle Frauen können sich eine Brustwarzenrekonstruktion finanziell leisten. Jedoch übernehmen mittlerweile 60% der Krankenkassen alle Kosten. Auf unserer Homepage https://medbwk.de kann man völlig unverbindlich den Kostenvoranschlag für die Krankenkassen bei uns beantragen. Für persönliche Fragen oder wenn Hilfe für die Antragstellung benötigt wird, steht eine Mitarbeiterin von uns dafür zur Verfügung.

Man merkt, dass du und dein Team absolut mit dem Herzen dabei seid und es euch wichtig ist, dass es Betroffenen wieder gut geht oder wie eine Frau auf deiner Website treffend sagt: „Endlich fühle ich mich wieder ganz.“

AE
Wir Männer sollten uns da nichts vormachen. Wenn die Frau sich nicht wohlfühlt, haben wir Männer ein Riesenproblem. Frauen sind unser Motor.

Informationen

Andy Engel Tattoo
Marktbreiter Straße 24, 97342 Marktsteft

phone: +49 9332 5913 900
mail: info@andyengeltattoo.com

web: www.med-bwk.com
web: www.andyengeltattoo.com

Instagram: bwk_by_andyengel
Instagram: andyengeltattoo
Instagram: andyengeltattoostudio

Facebook: Med-BWK by Andy Engel
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Italien, meine Leichtigkeit.

Meine Liebe zu Italien ist seit Jahrzehnten eine Herzens-Liebe.  Nach meinem Abitur habe ich eine Ausbildung als Rahmenbauer und Vergolder in einem alt eingesessenen Kunsthaus mit eigener Vergolder-Werkstatt begonnen. Der Plan war, nach der Ausbildung als Restauratorin und Vergolderin nach Italien zu gehen. Nach 1 1/2 Jahren musste ich die Ausbildung abbrechen, weil ich auf all die gesundheitsschädlichen Farben und Mittel, die in der Werkstatt offen herumstanden, allergisch reagierte.Gleichzeitig flog mir mein ganzes Leben um die Ohren.
Was übrig blieb, war die Liebe zu Italien, zu alten Schinken (also zu alte Gemälde mit pompösen Rahmen), zu dicken Putten und Engelsbildern. Bis heute liebe ich Kitsch, Blattgold und vor allen Dingen Schlagmetall, womit ich über viele Jahre alles Mögliche, am liebsten banale Alltagsgegenstände  (z.B. ein Toilettendeckel für mein Froschklo) vergoldet habe.

Anfang der 90er hatte ich das große Glück, mit einem Kunststudenten, der in Florenz Malerei studierte, für eine längere Zeit dort zu sein und Florenz gelebt und erlebt habe. Diese Zeit war unbeschreibbar leicht und unbeschwert. Wir haben nächtelang bei Wein, Brot und Oliven und natürlich Zigaretten (es waren schließlich die 90er) über die Bedeutung der Bildenden Kunst diskutiert, sind zu dritt oder viert auf einem Mofa  gefahren oder haben wichtigen Blödsinn gemacht. Es gab keine Gedanken an Unfälle, Krankheit oder an die Zukunft. Es gab nur das Jetzt. Daher war es für mich auch völlig selbstverständlich, täglich meine Zeit an der „Fontana del  Porcellino neben der Loggia del Mercato Nuovo zu verschwenden. Jeden Tag rieb ich dem Ferkel gründlich die blank geputzte Schnauze, legte eine Münze dahinein und hoffte inständig, dass die Münze hinunterfällt und mit dem Wasser wegfließt, damit mir Glück und Geld beschert wird. Das klappte allerdings nur mit den großen Münzen.
Meine Interessen galten auch nicht den langen Touristenschlangen (sich darin einreihen, fanden wir damals total schnöde und profan) vor den Uffizien. Und ob ich den David nun in Original sah oder als Bronzeskulptur war völlig unerheblich. Denn ich kannte schließlich alle wichtigen Törtchen- und Kuchenläden der Stadt, die wenigen Cafés, die Bei & Nannini Kaffee führten  und schloss mit allen möglichen Italienerinnen und Italienern Freundschaft, obwohl ich bis heute kein Wort Italienisch spreche. Sehr gerne widmete ich meine Zeit dem Hofzwerg Braccio di Bartolo der Medicis.

Wir dachten damals, wenn wir eins im Überfluss haben,
dann war es Zeit …

 

… und dementsprechend gingen wir damit völlig frei, unbeschwert und verschwenderisch um. Später, während meiner Ehe, war ich mit meinem Mann oft im Umkreis von Carrara unterwegs. Als Bildhauer arbeitete er in den Marmorwerkstätten, in denen Bildhauer aus der ganzen Welt ihre Skulpturen kreierten, und fertige dort seine Mamorskulpturen an. Einmal saßen wir in Siena in einer völlig überteuerten Touristen Pizzeria, aßen schlechte matschige Pizza und tranken warmen Wein dazu. Dabei wurden wir von einem unglaublichen filmreifen Mond, der neben dem Torre del Mangia aufging, beschenkt, auf dem wir einen direkten Blick hatten. Unbezahlbar!

Auch liebte ich meine Zeit in der Café-Bar „La Perla“ in Marina di Massa. Ich saß dort stundenlang, trank Bei & Nannini Cappuccino, aß Törtchen, las Zeitung, quatschte hier und da mit wem auch immer und schaute dem Barbesitzer zu, wie er nach jedem gemachten Cappuccino voller Stolz mit einem extra weichen Handtuch seine Theke polierte.

Während meiner Chemo habe ich mich oft auf meinem Hinterhof-Balkon, der viel Ähnlichkeit mit einem italienischen Hinterhof -Balkon hat, nach Florenz, Pisa, Siena, Carrara, Lucca, San Gimignano, Marina di Massa, Pietrasanta, Viareggio … gebeamt und die vielen Kleinigkeiten des Glücks und der Leichtigkeit in Gedanken wiederbelebt und -erlebt. Sie leben seit Jahren in mir weiter. Ich habe während der Chemo erkannt, welches großes Glück ich hatte, dass ich all das erleben durfte und nun diese schönen Erinnerungen als Rettungsanker verwenden konnte. Wenn ich die Augen auf meinem Balkon schloss, war ich dort. Wenn ich in meinem italienischen Café in meinem Viertel saß, war ich dort. Auch wenn es nur für kurze Momente möglich war, aber ich war da! In Italien.

Daher lag der Gedanke sehr nahe, sollte ich die Therapie schaffen, dass ich all diese Orte besuchen werde.  Jedoch, desto näher die Zeit rückte, je weniger Lust verspürte ich dazu. Es fühlte sich wie aufgewärmter Kaffee an.  Die Zeiten, die ich dort erlebt hatte, können nicht neu erzwungen werden,  denn sowas passiert, so wie sich verlieben, passiert. Je mehr man es sich wünscht, je unwahrscheinlicher wird es, dass es um die Ecke kommt. Ich bekam Angst, dass sich auf dieser Reise eine Leere breitmachen könnte und all die schönen Erinnerungen mit in den Abgrund reißt. Also habe ich es für dieses Jahr abgehakt. Die Welt ist groß und schön, aber Italien sollte es schon sein. Sardinien ist es geworden. Ein neues Ziel ohne Vergangenheit. So neu wie mein Leben jetzt.

 

Ich war da! Und glücklich.

März 2024: Ich habe meinen Exmann in Carrara besucht, der dort drei Skulpturen kreierte und dort endlich mein heiß geliebtes Atelier mit all den Modellen der vielen Skulpturen fotografieren können. Ganz klar: Ich war im La Perla!
Irgendwie war alles anders, aber trotzdem einfach nur wunderschön. Ich war, obwohl mich mein Exmann nervte, glücklich an all den Orten: Pisa, Carrara, Lucca,  Marina di Massa und  Pietrasanta. Sie haben ihren Zauber nicht verloren. Zum Schluss habe ich noch in Florenz vorbeigeschaut und gleich mein kleines Ferkel besucht und diesmal auch den David. Für ihn habe ich mich im strömenden Regen in eine Touristenschlange gestellt: Unbeschreiblich!